TV-Kritik: ARD - "hart aber fair" über Aufstieg durch Arbeit Ist heute noch Aufstieg durch Arbeit möglich?

Es war und ist eines der zentralen Versprechen der sozialen Marktwirtschaft: Wer sich bildet, anstrengt und redlich bemüht, kann es in Deutschland zu Wohlstand schaffen - unabhängig von Herkunft und Elternhaus. Bei "hart aber fair" diskutierten die Gäste, ob das heute noch einfach so möglich ist. Es ging um den Mindestlohn und den Wert der Arbeit - und natürlich spielte auch die gegenwärtige Krise eine Rolle.

Sozialer Aufstieg
Vom Tellerwäscher zum Millionär. Ist das in Deutschland noch möglich? Die Teilnehmer von "hart aber fair" waren sich da nicht so sicher. - © paper_owl - stock.adobe

Die Frontlinien waren ziemlich schnell geklärt. Da waren die Journalistin Julia Friedrichs, die ein Buch über Menschen geschrieben hat, die zu geringen Löhnen hart arbeiten, und die alleinerziehende Mutter Djamila Kordus, die sich intensiv um ihre Tochter kümmert und dennoch für wenig Geld Vollzeit arbeitet, auch um der Kleinen ein Vorbild zu sein. Und da waren die Unternehmerin und FDP-Politikerin Lencke Wischhusen, die ihre Anteile am elterlichen Unternehmen verkauft hat, sowie der Unternehmer Arndt Kirchhoff, der als Chef eines Fahrzeugkomponenten- und Werkzeugherstellers einem Unternehmen mit mehr als 13.000 Mitarbeitern vorsteht. Dazwischen stand Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), der die Rolle als eine Art Vermittler auch sehr gut wahrnahm. Es war bei "hart aber fair" ziemlich schnell klar, für welche Rollen die einzelnen Gäste eingeladen wurden - und dennoch kam am Ende eine sehr vernünftig geführte Diskussion heraus.

Heil: Probleme nicht verniedlichen

Grundfrage war, ob man sich heute noch wie früher in der Bundesrepublik darauf verlassen könne, durch Fleiß und harte Arbeit den entsprechenden wirtschaftlichen Aufstieg hinlegen zu können und es einmal besser zu haben als die Eltern. Im Verlauf der Sendung kamen an dieser Annahme allerdings immer mehr Zweifel auf. So wurde das Schicksal von Djamila Kordus aufgezeigt, die ihre Tochter rührend umsorgt, sie morgens zur Betreuung bringt, um sie nach einem kompletten Arbeitstag als Lageristin abends wieder von dort abzuholen - und dabei gerade einmal gute zehn Euro pro Stunde verdient, mit wenig Aussicht auf Erhöhung. Alles werde immer teurer, nur der Lohn steige nicht, gab sie zu Protokoll. Klar, dass SPD-Arbeitsminister Heil hier insistierte, das Problem der niedrigen Löhne "nicht zu verniedlichen". Im Gegenteil, es handle sich dabei um eine Frage von Würde und Anstand. Unternehmer Kirchhoff hingegen betonte durchgängig, man dürfe nicht immer nur die Seite der Löhne sehen, die Unternehmen zahlten, sondern müsse auch deren Belastungen etwa bei Steuern und Abgaben einpreisen.

>>> Lesetipp: Handwerk warnt vor steigenden Sozialbeiträgen

Dazwischen versuchte sich Wischhusen zu positionieren, die ihrerseits betonte, wie schwierig es Mütter generell im Arbeitsleben hätten und dass deren Leistungen gesellschaftlich nicht anerkannt würden, auf der anderen Seite aber auch immer die Sichtweise der Unternehmer in den Mittelpunkt rückte. So warf sie angesichts des Lamentos des Arbeitsministers der SPD ein "Totalversagen in 19 Jahren seit 1998, in denen sie den Arbeitsminister stellt", vor. Journalistin Friedrichs lenkte den Blick immer wieder auf die Menschen, die man in den USA als "working poor" bezeichnen würde, also jene, die zwar Tag für Tag hart arbeiten, aber von ihrem Lohn nicht leben können und teils mehrere Jobs annehmen müssen. Kordus, die für diese Art von Arbeitnehmern stand, brachte immer wieder ihre Erfahrungen aus dem Alltag ein.

Eine reflektierte Runde

So entwickelte sich eine recht differenzierte Diskussion, bei der beiden Seiten immer wieder ihre Standpunkte klar machten, aber die jeweils anderen weder mit Totschlag-Argumenten noch mit moralischer Argumentation überzogen. Das waren mit Sicherheit nicht die flottesten, aber zumindest einige der reflektiertesten Talkshow-Minuten der jüngeren Vergangenheit - auch wenn einige wichtige Punkte leider nicht zur Sprache kamen. Wenn es etwa um die Frage ging, warum viele Deutsche nicht über allzu viel Vermögen verfügen, dann greift die Argumentation rein an den Löhnen entlang zu kurz. Nullzinspolitik, zu wenig Wohneigentum durch explodierende Immobilienpreise und hohe Steuern, eine falsche Herangehensweise an die Vermögensbildung - diese beiden Argumente hätten sicherlich auch ihren Platz in der Diskussion verdient gehabt.

Immerhin war es Kirchhoff, der ein ums andere Mal daran erinnerte, dass in Deutschland nicht nur Löhne und Gehälter von Angestellten, sondern auch Unternehmen und Unternehmer sehr hoch besteuert werden. Arbeitsminister Heil, der mehrfach betonte, wie sehr er tüchtige Unternehmer schätze und keineswegs den klassischen "Maschinenstürmer" im Wahlkampf gab, machte den Eindruck, um diese Probleme zu wissen, mahnte die anwesenden Unternehmer - namentlich Wischhusen und Kirchhoff - aber auch zu ihrer Verantwortung, wobei gerade Kirchhoff in seinem Betrieb ohnehin Löhne bezahlt, die nach Recherchen der Plasberg-Redaktion weit über dem Mindestlohn liegen.

Debatte um den Mindestlohn

Und so blieb denn auch vor lauter Diskussion um gute Gehälter ein wenig auf der Strecke, wo die eigentlichen Probleme liegen. Denn der seriöse deutsche Mittelstand dürfte in weiten Teilen gar nicht so sehr das Problem darstellen. Der Mindestlohn ist etwa in weiten Teilen des Handwerks gar kein Thema, da er deutlich überschritten wird. Die Dienstleistungsbranche, aber auch weltweit agierende Großkonzerne geben sich bei den Löhnen hingegen oft weit zugeknöpfter. So entspann sich denn auch eine ausgiebige Debatte um den Mindestlohn - und es war klar, dass Befürworter einer deutlichen Erhöhung wie Heil und solche einer eher moderaten Steigerung wie Kirchhoff schnell aneinander geraten würden. So kam es denn auch - und die zwölf Euro, die Heil im Vorfeld der Bundestagswahl fordert ("wir können nicht zusehen bei solchen Trippelschritten"), wären auch eine große Belastung für so manchen Betrieb, wie Kirchhoff betonte. "Wir müssen die Wirtschaft auch mal wachsen lassen und uns den Belastungsteil anschauen. Auch bei der staatlichen Umverteilung geht es nicht immer gerecht zu", sagte der Unternehmer, nachdem er von Plasberg darauf angesprochen worden war, dass der Mindestlohn trotz aller Unkenrufe der Wirtschaft seinerzeit nicht zu den großen Einbußen bei den Unternehmen geführt habe.

Was ändert sich durch Corona?

Einer eher kurzen Debatte um die Frage, inwieweit etwa Erbschaften zur Ungleichheit im Land beitragen würden, folgte schließlich die Frage, was die gegenwärtige Krise an der Verteilung des Wohlstands ändern würde. Hier wollten die Diskussionsteilnehmer nicht so richtig anbeißen - obwohl durch die von den Lockdowns ausgelöste Wirtschaftskrise durchaus bei der Frage nach der Verteilung des Reichtums künftig eine gewichtige Rolle spielen wird. Wer im Homeoffice weiter arbeiten konnte und kaum Einbußen hatte, der hat sicher andere Bedingungen für den Neustart nach der Krise als die Verkäuferin im lange geschlossenen Einzelhandel oder die Bedienung in der Gastronomie. Hier hätte man sich ein wenig mehr Substanz gewünscht als Aussagen nach dem Motto, "nach der Krise wird die Wirtschaft wieder wachsen", wie sie von Heil kamen. Denn inwieweit sich Deutschland von den einschneidenden Problemen wieder erholt, das dürfte sich erst auf mittlere Sicht zeigen.

Stärkung der Tarifautonomie, gerade auch beim Mindestlohn, steigende Kosten etwa durch die Energiewende - die Sendung sprach noch einige weitere Themen an, war dabei allerdings nicht mehr so tiefgründig wie anfangs. Der Journalistin Friedrichs oblag eine der denkwürdigsten, wenn auch nicht korrektesten Aussagen des Abends. Ungleichheit bei den Löhnen, sagte sie, sei per se ja nichts Schlimmes, denn sie könne auch Ansporn sein. Allerdings dürfe sie nicht ausarten und sich darin äußern, dass einige beim Monopoly 10.000 Euro bekämen, wenn sie über Los gehen, und andere nur 100. Das saß. Dass es in Deutschland allerdings nicht der Standard ist, dass in der Breite derartige Ungleichheit existiert, war zuvor durchaus auch schon klar geworden.

>>> Link zur Sendung