Leistungsfähigkeit im Alter "Wer lange nichts Neues lernt, verlernt das Lernen"

Mit dem demografischen Wandel sind immer mehr ältere Beschäftigte in den Betrieben. Unternehmer müssen in ihrem Arbeitsschutz darauf reagieren. Arbeitspsychologe Frerich Frerichs im DHZ-Interview über den Zusammenhang von ­Gesundheit, Qualifizierung und Motivation.

Weiterbildungsangebote für Mitarbeiter sollten keine Frage des Alters sein. - © Lisa F. Young - stock.adobe.com

Herr Professor Frerichs, wie verändert sich die Leistungsfähigkeit mit dem Altern?

Frerich Frerichs: Man unterscheidet alterns- und arbeitsbedingte Veränderungen. Alternsbedingte Prozesse beziehen sich auf naturgemäße Veränderungen der Leistungsfähigkeit, die jeden betreffen wie Altersweitsichtigkeit oder geringere Muskelkraft. Wichtiger im Arbeitskontext sind die arbeitsbedingten Veränderungen, zum Beispiel Verschleißerscheinungen, die durch hohe Belastungen über längere Zeit entstehen. Hier können Unternehmer ansetzen.

Was können kleine Handwerksbetriebe hier tun?

Auch wenn Handwerker geringe Personalressourcen haben, wird in den Unternehmen trotzdem viel gemacht. Die Bindung zu den Mitarbeitern ist über die oft langen Beschäftigungszeiten sehr hoch. Eine häufige Lösung ist zum Beispiel, Belastungswechsel einzubauen. Die Älteren müssen dann nicht nur schwere, körperliche Tätigkeiten übernehmen, sondern wechseln diese ab mit Aufgaben, bei denen ihre Expertise zählt.

Auch Hilfsmittel können die Arbeit erleichtern. Im Betriebsalltag bleiben sie aber oft ungenutzt. Warum?

Das Nicht-Nutzen von Hilfsmitteln hat mit zwei Sachen zu tun: Wenn der Zeitdruck hoch ist und das vom Chef auch so vermittelt wird, verzichten die Arbeitskräfte oft auf die Nutzung, weil sie meinen, dann schneller zu sein. Und zweitens hängt es mit der Arbeitskultur zusammen, die der Betrieb lebt. Stellt er das Hilfsmittel nur hin? Oder schafft er dafür auch das entsprechende Umfeld, indem der Chef mit gutem Vorbild vorangeht und auch mal kontrolliert, ob die Mitarbeiter die Hilfsmittel nutzen?

Was brauchen Menschen noch, um möglichst lange gesund und produktiv im Betrieb zu bleiben?

Das Alterungsmanagement umfasst neben der Gesundheit auch die Qualifizierung und die Motivierung. Es wäre nicht der richtige Weg, auf eine Qualifzierung eines Mitarbeiters zu verzichten, weil er "nur noch" fünf oder zehn Jahre zu arbeiten hat. Es müssen ja nicht immer große Qualifizierungen sein. Auch Herstellerschulungen zählen. Solche Schulungen können ermöglichen, dass der Mitarbeiter andere, altersgerechte Tätigkeiten im Betrieb übernehmen kann.

Arbeitspsychologe Frerich Frerichs
"Der Fachkräftemangel ist hoch. Jeder, der länger arbeiten kann, ist eine wertvolle Ressource", sagt Professor Frerich Frerichs von der Universität Vechta. - © privat

Und die Motivierung?

Wer über lange Zeit nichts Neues gelernt hat, verlernt das Lernen und braucht dann extra viel Motivation, um sich dem zu stellen. Dabei ist Qualifizierung an sich schon ein Zeichen der Wertschätzung für den Mitarbeiter. Man erachtet ihn als wichtig genug, um an der Schulung teilzunehmen. Wenn der Chef also darauf achtet, dass jeder regelmäßig an einer Maßnahme teilnimmt, ist das keine reine Qualifzierungssache, sondern auch Motivation.

Im Handwerk findet Lernen oft auch informell statt: Der Ältere leitet den Jüngeren an. Genügt das, um das Erfahrungswissen im Betrieb zu halten?

Es bietet einen deutlichen Mehrwert, wenn man diesen Wissens­transfer steuert. Wer bringt wem wann was bei? Man muss sich dafür zunächst bewusst machen, was man überhaupt transferieren will und dann auch den Lernerfolg kontrollieren. Da genügt schon eine Frage wie "Hast du das mitbekommen?"

Welche Klippen gilt es hier zu umschiffen?

Wichtig ist, dass die Beteiligten miteinander können. Der Unternehmer sollte außerdem sicherstellen, dass nichts Falsches vermittelt wird. Die Älteren wissen zwar beispielsweise besser über Gefahren an der Baustelle Bescheid. Aber sie haben oft eingefahrene Routinen, die sie besser nicht auf Jüngere übertragen sollten. Umgekehrt haben die Jüngeren oft frisches Fachwissen und können sich über digitale Mittel Wissen selber aneignen.

Der Wissensaustausch ist also keine Einbahnstraße?

Nein. Wir sprechen von Kompetenztandems. Und bei einem Tandem treten ja auch beide.

Tipps zum Übertragen von Wissen im Handwerk in: Kauffeld, S., Frerichs, F.: Kompetenzmanagement in kleinen und mittelständischen Unternehmen, Springer-Verlag 2018.