Arbeiten bis zur Rente Mit 62 auf dem Dach: Altersgerechtes Arbeiten im Handwerk

Die körperliche Belastung ist in vielen Handwerksberufen hoch. Nur, wer gut auf seine Gesundheit achtet, kann unter diesen Bedingungen seine Arbeitsfähigkeit bis zum Rentenalter erhalten. Wie Arbeitgeber das fördern können.

Ein jüngere Dachdecker reicht dem älteren einen Ziegel auf dem Dach an.
Randy Plöger (links, Azubi im 1. Lehrjahr) und Heinz Reuter arbeiten auf dem Dach zusammen. Die Kraft des Jüngeren und die Erfahrung des Älteren ergänzen sich. - © Paul Müller

Heinz Reuter ist 62 Jahre alt, Dachdecker und für seinen Chef Patrick Gottlieb eine wichtige Arbeitskraft: "Bei uns gehen die Älteren immer noch vorne weg", sagt der Dachdeckermeister aus Hohenstein in Hessen. "Ich kann sie überall einsetzen, sie wissen über alles Bescheid, wo die Jüngeren noch am Lernen sind." Es brauche viele Jahre, bis ein Geselle dieses Wissen habe. Um so wertvoller sind für den Dachdeckerbetrieb die älteren Vorarbeiter. Dass Dachdecker keine Chance haben, bis zur Rente in ihrem Beruf zu arbeiten – wie so oft in Rentendebatten angeführt –, kann Gottlieb zumindest für sein Team nicht bestätigen.

Biologisches Alter sagt wenig aus

Wie das Älterwerden die Leistungsfähigkeit verändert, ist von Mensch zu Mensch verschieden. Die persönliche Veranlagung, der private Lebensstil, aber auch die Arbeitsbelastungen im Laufe des Lebens wirken sich aus. Das biologische Alter allein sagt also wenig aus über die Arbeitsfähigkeit. Um so wichtiger ist es für Chefs, ihre eigene und die Gesundheit ihrer Beschäftigten möglichst lange zu erhalten – auch und gerade in körperlich fordernden Branchen wie dem Dachdeckerhandwerk.

Gesundheitsbelastung im Dachdeckerhandwerk

Die Gesundheitsbelastungen in diesem Gewerk sind besonders hoch. Dachdecker leiden noch häufiger als Kollegen anderer Bauberufe unter Verspannungen des Schulter-Nackenbereichs und des unteren Rückens, außerdem unter Knie- und Schulterbeschwerden. Insgesamt machen Muskel-Skeletterkrankungen etwa 30 Prozent der Diagnosen des arbeitsmedizinischen Dienstes in der Branche aus. Aber auch Hörstörungen sind häufig.

Patrick Gottlieb steuert hier gezielt gegen: "Bei uns muss niemand mehr mit einer Last eine Leiter hochsteigen", verweist der 44-Jährige auf seine Gerüste mit Treppenaufgängen, auf Außenaufzüge und auf Kräne. Natürlich müsse man sich auf dem Dach immer noch Ziegel anreichen und man sei weiterhin dem Wetter ausgesetzt.

Aber insgesamt richteten seine Teams ihre Baustellen so ein, dass sie körperliche Belastungen möglichst gering halten. Dazu gehört auch, dass sie sich die Arbeit sinnvoll einteilen. Die Älteren leiten die Jüngeren in erster Linie an: "Sie geben ihren Erfahrungsschatz an unsere Jüngeren weiter", sagt Gottlieb. Außerdem planen und koordinieren sie die Arbeit vor Ort. Und sie erledigen spezielle Aufgaben, die körperlich weniger anstrengend sind, bei denen ihnen aber ihre Erfahrung zugute kommt: "Sie legen dann nicht den ganzen Tag Ziegel, sondern kümmern sich um Detailarbeiten, beispielsweise Schneefänge", nennt Gottlieb eine Möglichkeit. Es gehe ruhiger zu in dieser Generation, gibt der Chef zu. Aber sie seien immer noch Leistungsträger in seinem Unternehmen.

Durch altersgemischte Teams Jüngere nicht verschleißen

Das Umschichten von Aufgaben zwischen den Generationen darf jedoch nicht dazu führen, dass die jüngeren Arbeitskräfte nur noch schwerste Arbeiten bekommen und verschlissen werden. Es ist für alle Altersgruppen im Team von Vorteil, sich bei Aufgaben über den Tag immer wieder abzuwechseln. Denn nicht die Schwere der Arbeit allein belastet Muskeln und Gelenke, sondern einseitige Belastungen und Monotonie.

Trotz der körperlich hohen Anforderungen ist das Dachdeckerhandwerk zurzeit ein beliebter Ausbildungsberuf. Seit 2018 steigen die Azubizahlen kräftig und auch Gottlieb hat keine Probleme, Nachwuchs zu finden. "Wir haben einen vielseitigen Beruf, das ist für die Jungen attraktiv. Aber es ist auch für die Älteren ein Vorteil, denn wir haben viel Abwechslung in den Bewegungen." Von 17 bis 62 Jahren reicht die Altersspanne in seinem Betrieb. Heinz Reuter geht im kommenden Jahr in Rente, doch junge Kräfte kommen nach. In jedem Lehrjahr hat Gottlieb zwei Azubis.

Gegenseitige Rücksichtnahme zwischen den Generationen sei ganz selbstverständlich. Das beginne schon bei der Musikauswahl auf der Baustelle: "Da hören die Jüngeren dann auch mal den ganzen Tag Volksmusik“, sagt Gottlieb lachend. Derzeit plant er ein neues Bürogebäude, von dem auch sein Team etwas haben soll: "Da kommt ein kleines Fitnessstudio hinein, dann können sie dort ihre Muskulatur stärken."