Exotin am Bau Weiblich, 61, Maurer-Azubine

Nach einem Leben als Physiotherapeutin startet Elisabeth Gall neu und gibt sich ihrer Leidenschaft für das Maurerhandwerk hin. Ihre Begeisterung ist ansteckend.

Elisabeth Gall schultert einen schweren Sack
Elisabeth Gall weiß, wie man anpackt. Von ihrer Lebenserfahrung profitiert auch ihr Umfeld. - © Falk Bau

Wann, wenn nicht jetzt? Das antwortet Elisabeth Gall, wenn man sie fragt, warum sie mit 61 Jahren eine Ausbildung zur Maurerin angefangen hat. "Die Idee hatte ich schon lange. Jetzt ist mein Sohn aus dem Haus und ich bin schuldenfrei. Jetzt kann ich es machen."

Schon immer hätten in ihrer Brust zwei Herzen geschlagen. Das eine gehöre der Physiotherapie, ihren Patienten, die sie viele Jahre als Selbstständige begleitete. Das andere Herz habe aber schon immer für das Handwerk geschlagen. "Und diesen Herzenswunsch möchte ich jetzt erfüllen."

Schwere Arbeit gewohnt

Daheim auf ihrem Hof arbeitet sie seit jeher handwerklich und auch schwer körperlich. Sie interessiert sich für alle möglichen Gewerke. Die Wahl für einen Ausbildungsberuf fiel ihr entsprechend schwer. Als Ofen- und Luftheizungsbauerin habe sie keine Lehrstelle bekommen. Und gegen das Zimmerer- oder Dachdeckerhandwerk hat sie sich aus Vernunft entschieden: "Ab einem gewissen Alter sollte man besser nicht da arbeiten, wo unter Umständen eine schnelle Reaktion nötig ist", findet sie

Argumente gegen eine Lehre als Maurerin sieht sie aber keine. "Warum? Ich bin fit", erklärt sie. Bis vor drei Jahren hat sie bei zwei Altherren-Fußballmannschaften mittrainiert, sie versorgt allein einen ganzen Hof mit Pferd, drei Hunden und Holzheizung, für die sie das Holz selber macht. Und sie hat immer gut auf sich geachtet und ernährt sich gesund.

Raus aus der Komfortzone

Ihren heutigen Chef Kilian Falk hat sie mit dieser Haltung beeindruckt. "Sie ist so motiviert, so interessiert, ich wollte diesen Enthusiasmus unterstützen", sagt der Unternehmer aus Hirschau über seine neue Auszubildende. Und auch, wenn jemand in diesem Alter nicht mehr viele Jahre im Betrieb bleiben könne, so hofft er doch auf den Gall’schen Vorbild-Effekt. "Wir hatten in den letzten Jahren sehr schlechte Bewerberzahlen. Vielleicht motiviert Lisas Beispiel ja noch andere, sich ’raus aus ihrer Komfortzone zu wagen."

Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Die außergewöhnliche Azubine war nicht nur auf der Titelseite der Lokalzeitung und im Bayerischen Rundfunk, sondern auch bundesweit in der Süddeuschen Zeitung und in der "Zeit" ein Thema, viel Werbung für den 12-Personen-Betrieb.

Noch ist Gall allerdings die einzige Auszubildende in der Firma und auch die einzige Frau auf der Baustelle. In der von jungen Männern dominierten Berufsschule und in der Überbetrieblichen ist Gall ebenfalls eine Exotin. "Aber mir gefällt das mit den Jungs, ich lerne immer etwas Neues", sagt sie. Sie unterhält sich mit ihren Klassenkameraden, fachsimpelt mit dem einen über Fendt- und Eichertraktoren oder bewundert das Handyvideo des anderen, der ihr stolz seine Kunststücke mit dem Mountainbike zeigt. "Ich habe Respekt vor ihnen und sie vor mir. Sie merken, dass ich sie nicht als dumme Buberle sehe."

Frau in Männerwelt

Dafür redet sie auch Klartext, wenn ihre jüngeren Mitschüler sich danebenbenehmen. Ihre Trainererfahrung als Fußballtrainerin helfe ihr hier sehr. "Wenn der Ausbilder weggeht, habe ich so eine Art Aufseherrolle bekommen", beschreibt sie. Sie könne die Jungs gut lenken und sie versuche ihnen zu vermitteln, dass sie sich nicht nur für Geld anstrengen sollen, sondern aus Freude. "Manche von diesen Jugendlichen haben nie Lob bekommen", hat sie erfahren. Jetzt zeigen ihr diese Jungs ihre Noten und freuen sich über die Anerkennung der älteren Mitschülerin.

Ihr selbst bereitet das Lernen für die Berufsschule keine Schwierigkeiten, auch wenn sie erst abends dazu kommt. Denn nach der Berufsschule oder der Überbetrieblichen macht sie Hausbesuche, jetzt nicht mehr als Selbstständige, sondern als Angestellte einer Praxis.


"Nicht nur im Handwerk herrscht Fachkräftemangel, auch im Gesundheitssektor. Ich kann meine langjährigen Patienten nicht im Stich lassen", erklärt sie. Der Umgang mit ihnen täte ihr aber auch gut. "Diese Alten sind ein Labsal für meine Seele. Ihre Dankbarkeit und ihre Umgangsformen erden mich gerade, wenn die Jungs in der Schule mal wieder durch den Wind waren." Nach den Hausbesuchen kehrt sie heim auf ihren Hof, versorgt die Tiere, kocht sich Essen und wiederholt den Schulstoff.

Für die Zukunft ist Gall voller Pläne. Sie möchte auf keinen Fall nach der Ausbildung in Rente gehen, sondern bei Falk Bau in Hirschau bleiben. Lehmbau würde sie interessieren und vom Seniorchef möchte sie in die Kunst des Kreuzgewölbebaus eingeführt werden. "Ich arbeite so lange wie ich kann, wenn ich gesund bleibe. Man muss doch einen Luftsprung machen, wenn man mit 70 noch arbeiten darf und kann!"